Als wir am Dienstag Vormittag Big Sur hinter uns hatten, weitete sich die Landschaft zu einer gelbbraunen, hügeligen Ebene. Fallen entlang von Big Sur die felsigen Erhebungen steil, manchmal fast senkrecht ins Meer ab, so steigen hier nun die ebenso hohen sanften Kuppen in Entfernung weniger Meilen empor. Die Strasse verläuft darum durch fast ebene Landschaft. Unterstützt vom lange nicht mehr verspürten Rückenwind, sahen wir uns auf einmal wieder auf dem Radstreifen blochen. Am Mittwoch, nach einem vorzüglichen Lunch in "Giovanni's fish market" am Hafen von Morro Bay, ging's zuerst in unangenehm kurzen, aber steilen Aufstiegen und Abfahrten über Nebenstrassen zurück auf die 1. Und nun stimmte plötzlich alles, die Topographie und die Richtung. Wir hatten den Wind direkt im Rücken und glaubten die Strasse ständig leicht abfallend zu sehen. Und in der Tat fuhren wir hier den bisher schnellsten Abschnitt der Tour, beständig zwischen 30 und 55 km/h. Es war wie ein Rausch, aber zum Glück erreichten wir bald San Louis Obispo, das Etappenziel, denn die Beine schmerzten, die Muskeln waren übersäuert. Auch die vermeintlich leichten Gegensteigungen in vollem Tempo zu nehmen war leichtsinnig gewesen. Nun, dafür hatten wir dann Zeit, uns auf der hübschen Veranda vor dem Hostel in den Polstern zu erholen. (Türöffnung war erst um 16:30, zwei Stunden nach unserer Ankunft.)
Die Entscheidung hier in SLO den letzten Ruhetag einzuschalten, war gut. Das kleine familiäre Hostel ist ein echtes Bijoux, mitten in der ruhigen Wohnlage der Stadt und doch in Fussdistanz zum Zentrum. (Das gibt es hier tatsächlich.) Und dann die Vorzugsbehandlung als Biker! Fast einen Drittel Preisermässigung gibt's für uns. Die Besitzin hat an Velofahrern den Narren gefressen; das Paar aus Vancouver hat sie kurzerhand im eigenen Haus untergebracht, weil kein Zweierzimmer mehr frei war.
Als Nachtrag noch die kleine Geschichte eines bizarren on the road-Menschen. Auf dem Kirk Creek Campground fiel uns ein barfüssiger Mann unbestimmbaren Alters auf, der sich hinter den Biker-Campsites im Gebüsch zum Schlafen hinlegte. Er trug Klamotten, die wohl noch nie in einer Waschtrommel drehten, und einen ähnlichen Stofffetzen, mit dem er beim Schlafen den Kopf bedeckte. Der Kopf ein verfilztes unbestimmtes Etwas. Als wir in Grüssten, reagierte er mit einem scheuen Blick auf uns. Das schien für ihn eine seltene Erfahrung zu sein. Deprimierend. Unsere Reaktion war entsprechend. Einerseits fühlten wir Mitleid, andererseits war ein Abwehrreflex da. Wie ernärt sich der Mann? Wie hält er die nächtliche Kälte aus? Würde er sich Nachts aus den Lebensmittelkästen der Camper bedienen?
Die Kanadier hinter deren Zelt er sich niedergelassen hatte, liessen ihn am Abend mitessen. Sie erfuhren wenig, eigentlich nur, dass er, von Mexiko kommend, die Westküste entlang nach Norden laufe. - Er ist aber kein Mexikaner, die Grenze scheint er illegal passiert zu haben. Wie er (über)lebt, ist rätselhaft. Leute im Hostel in San Louis haben ihn gestern auf der Strasse angetroffen. Er hat wirklich kein Gepäck bei sich und wohl auch kaum Geld. Immerhin geht er nicht Barfuss, wie wir zuerst meinten; er trägt Segeltuchturnschuhe.
 
1 Kommentar:
Der wandernde Mann unbestimmten Alters erinnert an den Mexikaner im Buch "América" von TC Boyle..
Ist sicher erfreulich, so schnell unterwegs zu sein! Ist wie im Mairatal am Abend, wenn der Wind durch das Tal fegt.
mfG
Guido
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