| From Seattle to San Diego-Tour | 
Hearsts Vater hatte zwischen San Louis Obispo und Monterey riesigen Landbesitz erworben und mit den Söhnen jeweils in der Gegend campiert. Der Sohn dann, der als Jugendlicher mit seiner Mutter Reisen durch Europa gemacht hatte, baute hier seinen speziellen "Campground". Er liess in Europa Schlösser, Abteien und Klöser kaufen, demontieren, Stein für Stein nummerieren, über den Ozean transportieren und hier nach den Plänen seiner Architektin Julia Morgan wieder zusammenbauen. Das ergab Gebäude aus echten europaischen, v.a. italienischen und spanischen Bauteilen und Imitationen, ein Stilgemisch aus griechisch-römischen Elementen und solchen aus der Renaissance.
Zugegeben, die Architektin hat gut gearbeitet. Wer nicht genau hinschaut, erkennt die Stilmischungen kaum. (Übrigens sind die Gebäude der Erdbebengefahr wegen durchwegs Eisenbetonkonstruktionen, und darauf sind Innen und Aussen die origininalen und imitierten Bauteile aufgetragen.)
Umberto Eco hat vor etwa einem Viertel Jahrhundert das Castle besichtigt. Er schreibt u. a. über seine Eindrücke: "Unbändige Sammlerwut, der schlechte Geschmack des Neureichen und Prestigesucht trieben ihn zu einer Nivellierung der Vergangenheit auf das zu lebende Heute, das ihm jedoch als lebenswert nur erschien, wenn es garantiert 'wie früher' war." Dass Hearst keinen Unterschied zwischen Vergangenheit und Gegenwart machte, findet Eco nicht das eigentlich Anstössige, denn das taten bekanntlich bereits die Rennaissancefürsten. Nein, "die wahllose Raffgier, mit der er sich alles einverleibt hat, was er kriegen konnte", stört Eco am meisten. Er schliesst seine Reflexionen mit dem folgenden Vergleich: "wie wenn man in einem Beichtstuhl bumst, mit einer Nonne im Priesterkleid, auf den Lippe Verse von Baudelaire, während 10 elektrische Orgeln das Wohltempererierte Klavier verstörmen, gespielt von Skrjabin." (In: Über Gott und die Welt, dtv, S. 59)
- Das Schloss ist das "Xanadu" Citizen Kanes. Orson Wells hat seinen Helden nach dem Medienmagnaten gestaltet und ihn hier leben und sterben lassen.
- Hearst empfing auf der "Ranch" ständig Gäste; zu ihnen gehörten Politiker wie Churchill, Filmgrössen wie Errol Flynn und Charlie Chaplin. Sie brachte er in Gästehäusern unter, die an Opulenz der Ausstattung nicht zu überbieten sind. (Dass es in den Räumen keinen Fleck gibt, der nicht mit einer erlesenen europäischen Anitquität besetzt ist, macht die Masslosigkeit deutlich.)
- Wirklich schön sind die beiden Pools, auch wenn sie aus Bauelementen verschiedener Epochen zusammengesetzt sind und die Statuen im Neptun-Pool neuzeitliche Nachbildungen natürlich in Carrara-Marmor sind. Der riesige Indoor Pool ist einem Mausoleum in Ravenna nachgebildet und ganz mit venezianischen Glaskacheln ausgelegt. In einen der (damals beheizten) Pools zu springen muss reines Vergnügen (gewesen) sein. Eco sieht im Indoor Pool eine Mischung "aus Alhambra, Pariser Metro und dem Pissoir eines Kalifen, nur majestätischer".
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Was mich, G., am Ganzen abstösst, ist das Herauslösen der Bauelemente und Antiquitäten aus ihrem kulturellen, geographischen und historischen Kontext. All diese Dinge dokumentierten einst Geschichte und erzählten Geschichten. Hier, auf dem Hügel einer Viehranch, sind sie dessen beraubt. Sie stehen nun als Zeugnis dafür dar, wie eine Dagobert Duck ähnliche Figur sich mit Kulturgütern Bedeutung, Grösse, Prestige verschaffen wollte. Funktionalisierung dieser Art ist eine Form der Pervertierung.
P.S. Und was soll er Sinn eines spätmittelalterlichen spanischen Chorgestühls, im Speisesaal sein? Sollten damit die Essgelage sakral überhöht werden? (Beruhigend immerhin, dass es keines der künstlerisch wertvollen europäischen Chorgestühle ist. Die Kaufkraft scheint da doch an ihre Grenze gestossen zu sein.)
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2 Kommentare:
Liebe Gerold und Manuel,
habe ein paar Tage nicht mehr reingeschaut, jetzt aber nachgeholt.
Bewunderungswuerdig, wie Ihr trotz physischem Stress wie Schwaemme alles Interessante aufsaugt und sofort in spannende Berichte umwandelt!
Was Hearst Castle angeht, so gibt es da noch mehr seltsame "Auswuechse" rund durch das Land: Scotty's Castle in Death Valley, und die Mansions in Newport, Rhode Island, unter anderem. Das waren Zeiterscheinungen. Zum Glueck haben dieselben Perioden der US Geschichte auch produktivere Ideen erzeugt: statt abstruse architektonische Denkmaeler zu bauen, haben andere mit ihren Geldern Stiftungen gegruendet, die bis heute einflussreich sind, wie etwa die Mellon Foundation, die Rockefeller Foundation, die Ford Foundation,... Die Tradition ist immer noch lebendig, wie die Gates Foundation und andere Gruendungen der letzten Jahre beweisen. Das ist eine glueckliche Konvergenz: Grandiositaet und gute Werke gehen Hand in Hand.
Ein Grund, weshalb ich von Eurem Blog abgelenkt war, ist auch das heutige Zeitgeschehen, die letzten zehn Tage, um genau zu sein. Wenn wir Glueck haben, werden die US Behoerden eine zweite "Great Depression" knapp verhindern. Jedoch, das Zeitalter der Wallstreet mit ihren Auswuechsen koennte beinahe vorbei sein, so wie die Periode der Eisenbahnzaren und der Medienmogulen einmal vorbei war.
Herzliche Gruesse, und passt besonders gut auf in den letzten paar Tagen!
-- Andreas
PS: Wallstreet gibt es nicht mehr. Heute Abend haben sich die letzten zwei Investment Banks in die Obhut des Federal Reserve begeben. Wie passend zu Hearst: Eine Aera vergeht wie die andere. Aus, Amen.
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